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Mit 62 Jahren am Arbeitsmarkt Fuß gefasst

29.08.2021

„Endlich wieder finanziell auf eigenen Beinen stehen“.

Morgens um 8.15 Uhr beginnt die Frühschicht für die Betreuungskräfte im Seniorenstift Bürgerhospital der Diakonissen Speyer. Gerlinde Pfisterer ist in der Allgemeinen Sozialen Betreuung als Springerin eingesetzt, das heißt, sie unterstützt überall dort, wo es gerade erforderlich ist. Sie und weitere Betreuungskräfte tragen durch vielfältige Aktivitäten zum Wohlergehen der Senior:innen bei. Sie erzählen, basteln, spielen gemeinsam oder gehen spazieren. Aufgrund der Corona-Pandemie müssen diese Angebote unter Einhaltung der Hygienerichtlinien erfolgen: Masken tragen, Abstand halten, häufig Händewaschen und desinfizieren bestimmt den Alltag im Pflegeheim. Mit den Bewohner:innen zu singen ist bis auf Weiteres nicht möglich.
Doch Betreuungskräfte übernehmen unterstützende Angebote, die qualifizierte Pflegekräfte in der Regel nicht leisten können. Gerade in der Pandemie kommt der sozialen Betreuung aufgrund der Besuchseinschränkungen eine besondere Bedeutung zu. Damit der Alltag abwechslungsreich bleibt, bringt Gerlinde Pfisterer gerne eigene Ideen ein, um bei den Bewohner:innen Erinnerungen an Kindheit, Jugend oder den eigenen Garten zu wecken. Die Betreuung von Senior:innen ist für sie eine sinnvolle Arbeit, aus der sie Freude und Anerkennung schöpft.

Jobcenter fördert Wiedereingliederung am Arbeitsmarkt

Nach einer Phase längerer Arbeitslosigkeit, kam sie 2018 als 60-Jährige über das Jobcenter Vorderpfalz-Ludwigshafen zum VFBB e. V. mit dem konkreten Wunsch, als Betreuungskraft zu arbeiten. Die erforderliche Qualifizierung hatte sie bereits 2010 abgelegt. Schon im Juli 2018 konnte VFBB-Betreuerin Cornelia Boksa Frau Pfisterer über Arbeitsgelegenheiten (AGH) erfolgreich ans Diakonissen Seniorenstift Bürgerhospital Speyer vermitteln, wo man ihre Mitarbeit zu schätzen wusste. Seitdem konnten die Beschäftigungsvereinbarungen im Rahmen der Arbeitsgelegenheit mehrfach verlängert werden.

Chance erkannt und genutzt

Als im Sommer eine Betreuerin des Seniorenheims im Mausbergweg ausschied, sah Gerlinde Pfisterer schließlich ihre Chance und fragte im Haus nach einem Arbeitsvertrag. „Ich hatte ja nichts zu verlieren, also traute ich mich“, erklärt sie. „Ende Juni kam der Verantwortliche auf mich zu und fragte:

‚Frau Pfisterer, 75 Prozent? So schnell wie möglich?‘ Das war für mich die beste Nachricht seit langem und ich sagte sofort zu.“ In Abstimmung mit der Einrichtungsleitung und der Personalabteilung wurde im Juli ein Teilzeit-Arbeitsvertrag (75 Prozent) zum 1. August ausgestellt – zunächst befristet auf zwei Jahre mit Übernahmeoption. Zuvor hatte Cornelia Boksa den Arbeitgeber über Fördermöglichkeiten des Jobcenters gemäß Paragraph 16e (SGB II) informiert, die die Wiedereingliederung Langzeitarbeitsloser am Arbeitsmarkt erleichtern sollen. Dieser Zuschuss unterstützt Unternehmen, wenn sie mit einer langzeitarbeitslosen Person einen Arbeitsvertrag über mindestens zwei Jahre abschließen. Stellt der Arbeitgeber einen Antrag beim zuständigen Jobcenter, werden im ersten Jahr 75 Prozent der zu berücksichtigenden Lohnkosten erstattet, im zweiten Jahr 50 Prozent.

Der Arbeitsvertrag: Ein unbeschreibliches Gefühl

„Ich wurde schon 2018 sehr offen aufgenommen und als gleichwertige Kollegin behandelt. Im Haus und auf der Station haben mir alle sehr viel Wertschätzung entgegengebracht. Über die Leistungen des Jobcenters war ich während meiner Arbeitslosigkeit sehr froh. Aber der Arbeitsvertrag ist eine richtige Befreiung für mich. Endlich kann ich finanziell wieder auf eigenen Beinen stehen. Das ist ein unbeschreibliches Gefühl“, berichtet die 62-Jährige erleichtert. Zu allen Bewohner:innen sind mittlerweile vertrauensvolle Beziehungen gewachsen. Gerne unterstützt sie Senior:innen, die unter Demenz leiden und nimmt deren Themen auf. „Vom Ersten Weltkrieg bis heute ist alles dabei.“ So fasst sie die Inhalte zusammen. Kindheitserinnerungen, Lieblingsbeschäftigungen, frühere Erlebnisse im Beruf kommen dabei ebenso vor wie Familienstreitigkeiten oder Ängste. Wertschätzende Kommunikation mit dementen Menschen wird als Validation bezeichnet. Dabei handelt es sich um eine Methode zum besseren Verständnis und Umgang mit zeitlich und räumlich nicht orientierten, alten Menschen. Ziel ist es, sich über die Gefühlswelt und die Biografie der Menschen einen Zugang zur Gedanken- und Erlebniswelt zu ermöglichen. Die Betreuungskraft akzeptiert dabei die Motive altersverwirrter Menschen und vermeidet, sie in die Realität zurückholen zu wollen. Damit schafft sie eine vertrauensvolle Basis. Betreuungsassistenten sind mit dieser speziellen Kommunikationstechnik vertraut und werden ständig weiter geschult. Auch Gerlinde Pfisterer führt validierende Gespräche und freut sich, dass sie diese Technik in regelmäßigen Schulungen weiter entwickeln kann. Das Wissen hilft ihr sehr, einen Zugang zu desorientierten Senioren zu finden.

Ich habe meinen Weg gefunden und bekomme viel zurück

„Wenn ich aus dem Urlaub komme, werde ich freundestrahlend begrüßt und gefragt, wo ich so lange war und ob ich den Urlaub überhaupt verdient hätte. Sie vermissen mich, wenn ich nicht da bin. Ich bekomme viel zurück“, erzählt sie. „Eine Kollegin sagte zu mir: ‚Schön, dass du da bist, die Bewohner können mit dir lachen.‘“ Doch zum Alltag im Seniorenheim gehört ebenso der Umgang mit Krankheit, Schmerzen, Angst und Sterben. Viele Bewohner hat Gerlinde Pfisterer schon bis zum Tod begleitet. „Manchmal ist man dabei und manchmal komme ich morgens und ein Bewohner ist nachts gestorben“, sagt sie. „Jeder muss seinen Weg finden, damit umzugehen. Ich habe meinen gefunden: Verabschieden, tief durchatmen und loslassen – dann kann man gut weiter arbeiten.“ Cornelia Boksa und Tetiana Vyshenska haben Frau Pfisterer während der Arbeitsgelegenheit beim VFBB e. V. betreut. „Frau Pfisterer hat sich während der Maßnahme regelmäßig gemeldet, hat immer Kontakt gehalten. Im Coaching haben wir viele Themen besprochen“, erklärt Cornelia Boksa rückblickend. Tetiana Vyshenska ergänzt: „Wir haben sie motiviert und überaus zuverlässig kennengelernt, sie besitzt viel Empathie. Frau Pfisterer ist immer mit Leib und Seele dabei.“

Durch Engagement am Arbeitsmarkt Fuß gefasst

Für Frau Pfisterer hat sich das Durchhalten gelohnt. Sie hat Unterstützungsangebote nicht nur angenommen, sondern aktiv für sich genutzt und dabei erfolgreich bewiesen, dass Engagement und Zielstrebigkeit keine Frage des Alters sind. Durch ihre Qualifizierung, private Pflegeerfahrungen, passende Förderung und ihr eigenes Bestreben, bis zur Rente als Betreuungsassistentin arbeiten zu wollen, konnte sie nachhaltig am Arbeitsmarkt Fuß fassen. Heute ist sie in einem Beruf tätig, in dem Lebenserfahrung wertvoll ist und freut sich auf die nächsten Jahre.

Im Spätsommer erreichte uns ein Brief von Frau Pfisterer mit folgendem Inhalt:

„Sehr geehrte Frau Boksa, sehr geehrte Frau Vyshenska, auf diesem Weg möchte ich mich noch einmal von ganzem Herzen für Ihre Hilfe während meiner Zugehörigkeit beim VFBB bedanken. Ohne Ihre Beratung und Unterstützung hätte ich diesen mir am Herzen liegenden Job niemals erhalten. Im Laufe der nächsten Woche werde ich mich zu einem letzten Termin zwecks persönlichem Dankeschön melden.“

Wir freuen uns über diese Rückmeldung, wünschen Frau Pfisterer weiterhin viel Erfüllung im Beruf und alles Gute.

Post-it mit einem Smiley und dem Wort "geschafft!"